“Und, wo hast du so gut Fahrradfahren gerlernt?” - “Aus einem Buch” - “Haha!”

Dies ist ein Auszug aus meinem Buch “Vom erfüllenden Mangel”

Haben Sie Fahrradfahren gelernt, indem Sie ein Buch darüber gelesen haben? Haben Sie eine Sportart gelernt, indem Sie Powerpoint-Folien dazu studiert haben?

Wir kennen es, wenn wir uns Informationsveranstaltungen vor Augen führen. Da steht dann jemand oben auf dem Podium und spricht zum Publikum. Er informiert und vermittelt Fakten und Wissen. Und wir hören zu. Wir nehmen die Informationen auf. Mehr oder weniger. Vielleicht schweifen wir in Gedanken auch ab. Der Referent schaut in die Menge und sieht irgendwie nur relativ «leblose» Augenpaare, die ihm entgegenblicken. Kommt Ihnen diese Szenerie, ich zeichne sie bewusst überspitzt auf, bekannt vor?

Wenn wir informieren, dem Publikum über etwas Neues berichten, dann sind wir selber Feuer und Flamme dafür. Eine neue Methode, ein neues Konzept, eine Lebensweise, eine neue Strategie, ein neuer Prozess. Was es auch immer ist, wir sind davon überzeugt. Und wir reden und reden und wir spüren gleichzeitig, es regt sich kaum etwas im Publikum.

Warum ist dies so? Informationen nehmen wir mit unserem Verstand auf. Mit der Ratio, mit dem Bewusstsein. Unser Bewusstsein nimmt maximal 5 % aller Informationen auf. Und diese befinden sich dann im Kopf. Unser Meister, unser Inneres, das Unterbewusstsein, nimmt daran nicht teil. Es nimmt zwar Informationen auf, die ganzen restlichen 95 %, aber dies sind Wahrnehmungen des Umfeldes, der Stimmung im Saal und des Drumherums. Je «trockener» ein Referat, desto trockener die Stimmung. Unser Gehirn rattert zwar, unser Unterbewusstsein kommt aber kaum ins Erleben. Es erlebt «Trockenheit».

Wissen kann nur durch Erleben ins Unterbewusstsein transferiert  und zu «Fleisch und Blut» werden. Wollen wir etwas verändern, müssen wir in den Erlebnismodus gelangen. Wir müssen in den Moment positiver Grundstimmung der angestrebten Veränderung kommen. Und diese Veränderung durch Wiederholung kleiner Schritte geduldig aus dem Erlebnis des Momentes einüben. Stets von Neuem. Wie das Kleinkind, das laufen lernt.

Genau aus diesem Grund scheitern die allermeisten Veränderungsinitiativen in Unternehmen. Oder man kommt nur schleppend voran. Das Management hat einen neuen Beratungs- oder Verkaufsprozess, den die Mitarbeiter umsetzen sollen. Es wird eine Informationsveranstaltung gemacht, allenfalls gibt es ein ein- bis zweitägiges Seminar mit einem Coach, aber meist ohne Führungsbeteiligung. Das Seminar basiert dann auf viel Wissens- und Informationsvermittlung, die Mitarbeiter erhalten ein paar schriftliche Hilfsmittel, lernen ein paar Tipps und Tricks und dann heisst es: Anwenden!

Das ist, wie wenn Sie eine neue Sportart erlernen wollen, an eine Infoveranstaltung gehen, ein Seminar in einem Seminarraum besuchen, sich Notizen machen, ein Handbuch zu dieser Sportart erhalten und vielleicht ein paar erste Übungen dazu erleben. Und dann sagt man Ihnen: So, jetzt Anwenden.

Natürlich wird es ein paar Ausnahmen geben, wir nennen sie dann «talentiert», die auch ohne jegliche zusätzliche Hilfe sich alles Weitere selbst beibringen. Und die Feinmotorik dieses Sportes von Tag eins im Blut haben. Aber dies ist die grosse Minderheit. Die Meisten werden sich, ohne zusätzliche Erlebnisbegleitung, ein paar mal selbst daran versuchen und dann aufgeben.

Wachstum  geht nur über das positive Erleben.

Will sich ein System verändern, konkret Unternehmen oder Institutionen, so sind alle herausgefordert, ins Erleben dieser angestrebten Veränderung zu kommen. In den Moment positiver Grundstimmung wiederholender kleiner Schritte. Das geschieht durch das Vorleben durch die Führung und durch den Initianten der Veränderung. Sein Vorleben ist für die Wahrnehmung durch unser Unterbewusstsein essentiell. Er muss selbst positiv für diese Veränderung «schwingen» und diese Überzeugung entsprechend «ausstrahlen». Sonst spüren wir umgehend eine Dissonanz zwischen dem, was wir gehört haben und dem, wie es gelebt wird. Und wir verinnerlichen, meist unbewusst, diese Spannung. Irgendetwas in uns signalisiert uns dann «da stimmt etwas nicht, aber ich kann nicht genau deuten, was es ist». Und das führt zu Stress. Eine Veränderung, die nicht maximal vorgelebt ist, wird zum Bumerang. Statt Energie aus dem Moment zu erzeugen, zieht sie Energie ab. Eine Veränderung im Kollektiv kann nur stattfinden, wenn man sich gemeinsam auf diese Veränderung fokussiert, diese miteinander lebt und die kleinen Schritte zusammen immer wieder wiederholt. Wollen wir einen neuen Beratungsprozess einführen, dann muss eine Erlebnisstruktur der kleinsten Handlungen aufgebaut werden. Dann müssen sich alle gegenseitig unterstützen und motivieren. Dann die Erfolge der kleinen Schritte feiern. Und beim Hinfallen einander die Hand zum Aufstehen geben und weitergehen. Jeden Tag ein kleines neues Erlebnis kreieren. Das wird nicht angenehm sein, denn Veränderung kommt immer aus dem Unbekannten. Neugierig werden heisst dabei ein möglicher «Zaubertrick», im Wissen, dass die Kollegen ein Sicherheitsnetz des Vertrauens anbieten. «So jetzt rufe ich diesen Kunden an und versuche das Gespräch nach dem neuen Prozess zu führen. Ich versuche, etwas dabei besonders gut zu machen und werte meine Leistung nicht. Ich bin achtsam und gespannt, wie das gehen wird. Es kann mir nichts passieren, es ist nur ein Gespräch».

Wachsen bedeutet handeln. Wachsen bedeutet erleben. Jedes Mal von Neuem, wie das Kleinkind beim Laufen.

Einer der zur Zeit grössten kritischen Denker, Nassim Nicholas Taleb, Autor des Bestsellers «Der schwarze Schwan» bringt es in seinem Artikel «Der IQ ist vor allem ein pseudowissenschaftlicher Schwindel» auf den Punkt. Unter anderem damit, dass er sagt: Wenn sie die Leistung eines Menschen messen wollen, dann messen sie diese nicht mit künstlichen Fragen in einem künstlichen Umfeld, sondern messen sie die Leistung, die er wirklich geleistet hat. Er verweist dabei auf Beispiele eines Tennisspielers oder eines Börsenhändlers. Nicht die Theorie, nicht das Papier, nicht die Studie zählt am Ende. Sondern allein die Handlung. Taleb wird es wissen, war sein langjähriges Tätigkeitsgebiet jenes an den Kapitalmärkten im Handel mit Derivaten. Also genau in jenem Bereich, in dem statistische Theorien und effektive Ergebnisse in Marktkrisen am stärksten auseinanderklaffen. Die Realität holt uns dann trotz zuversichtlicher Studien und Prognosen immer wieder unangenehm ein. Seien Sie immer auf der Hut, wenn jemand ein «Risikofachmann» zu Ihnen sagt: «Das kommt so nicht wieder vor, dieses Mal ist alles anders». Naturgesetze ändern sich nicht». Im Artikel warnt Taleb vor allem von etwas: vor der Schubladisierung. Einer Schubladisierung im Zusammenhang mit theoretischen Messungen (konkret bezieht er sich auf die Messung des Intelligenz-Quotienten, den er stark kritisiert). Zu Recht. Denn auch hier: Die Natur kennt keine Schubladisierung. Schubladisierung ist Wertung. Und Wertung ist immer ein Vergleich zu einer Norm. Ein Vergleich, der aus dem Moment reisst. Und der somit nur Wachstum und Potenzial einschränkt.

Was passiert, wenn es nicht mehr weitergeht?

Das Künstlerkollektiv «Leavinghomefunktion» hat dazu ein eindrückliches Projekt ins Leben umgesetzt. Als Gruppe aus fünf Kunststudenten entschieden sie, nach den «trockenen» Lehrjahren in ihren eigenen Künstler-Welt, wortwörtlich eingeschränkt durch die Schlossmauern ihrer Universität, noch ohne Führerschein und ohne ein Motorrad zu besitzen, mit dem Motorrad auf dem Landweg von Deutschland nach New York zu reisen. Ein abstruses Projekt, da es gar keinen Landweg dazu gibt. Und genau dies sollte die Motivation sein. «Glaube an das Unmögliche». Innerhalb von fünf Monaten lernten sie Motorradfahren, suchten über Crowdfunding Sponsoren für das Projekt, kauften vier russische, unzerstörbare Ural 630 Motorräder, die schon seit den 40’er Jahren hergestellt werden und planten ihre Route über Russland, Kasachstan, der Mongolei, die Bering-Strasse, Kanada und die USA nach New York. Ihr Credo war: Wir kehren um, wenn es nicht mehr weitergeht. Dank diesem Credo kamen sie ans Ziel. Mit unbändigem Willen, aus jeder unmöglichen Situation, die auf dem Weg entstand, das Mögliche daraus zu machen. Sie entwickelten sich als Gruppe und Individuen auf der Reise stetig weiter und wuchsen zusammen zu einem vollfunktionierenden Organismus, der jeglichen Widrigkeiten standhielt. Sie wuchsen zu Profimechanikern, lernten sich selbst verarzten und sogar sich in der Gruppe selbst Zahnfüllungen durchführen. Sie schleppten Ihre Motorräder durch Flüsse, Sümpfe und Gegenden ohne Strassen, wo selbst die abgehärteten Einheimischen kopfschüttelnd von der Weiterreise abrieten. Sie wurden durch ihren Willen und ihre Menschlichkeit von den einheimischen Menschen, wo immer sie ankamen, mitgetragen und unterstützt. Ihre Motorräder entpuppten sich dabei als die gemeinsame Universalsprache. Jeder in der Gruppe hatte seine Funktion, in die er hineinwuchs. Und statt sich gegenseitig runterzuziehen, lernten sie immer besser, als Einheit zu funktionieren. Weil sie keine andere Wahl hatten. Wollten sie weiterkommen, kam es auf jeden Einzelnen darauf an. Das Ego entwich und ein innerer Reifeprozess aus dem Erleben des Momentes entstand. «Learning by doing» in Reinkultur. Handlungen auslösen und daran wachsen. Eine eindrückliche Geschichte über das Potenzial jedes Menschen, die kaum besser beschrieben werden könnte. Eines der Geheimnisse: das bewusste langsame Tempo. Erst dieses Tempo ermöglichte es, all das Erlebte optimal zu verinnerlichen und ideal daran zu wachsen.

Heisst dies nun, wie es manche vielleicht gerne jetzt hören würden: «Genau, ich habe es schon immer gesagt: Lasst die Theoretiker sein. Ärmel hochkrempeln und einfach machen. Das ist der einzige Weg!».

So einfach ist es dann doch nicht. Auch wenn wir nun argumentieren könnten «Die Natur wächst ja auch einfach drauflos! Das steht doch jetzt mehrfach da oben geschrieben!».

Die Natur wächst nach ihrem Plan, nach ihrem Programm, welches in ihrer DNA gespeichert ist. Und kleinste Abweichungen in der DNA, die per Zufall, als Fehler oder aus was für einem Hintergrund auch immer entstehen, führen zu ganz leichten Veränderungen. Grundsätzlich hält sich die Natur an Ihren Plan und aus kleinsten Veränderungen im Kern entstehen mit der Zeit grosse Veränderungen und ganz neue Lebensformen. Die Natur hat dabei einen grossen Vorteil: Sie hat Zeit. Sie ist im Moment. Sie hat keinen Stress.


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