In deinem Kopf leben ganz viele “Du’s”. Scary? Nein - wenn du sie verstehst und als Team führst. Aber nur dann.

Dies ist ein Auszug aus meinem Buch “Vom erfüllenden Mangel”

Wenn wir uns selbst lieben lernen, so werden wir unabhängig von der Liebe zum Aussen. Wir fühlen uns eingemittet und frei, und alles andere als alleine und einsam. Denn alleine sind wir im Grundsatz sowieso nie. Schon als Individuum sind wir eigentlich ein Team von Persönlichkeiten.

Der anerkannte deutsche Kommunikationsforscher Friedemann Schulz von Thun entwickelte neben dem bekannten Vier-Ohren-Modell auch ein zweites sehr spannendes «Konstrukt»: das innere Team. Diese Betrachtungsweise wird heute unter dem Begriff «multiple self theory» wieder verstärkt diskutiert und von vielen als wertvolles Konzept auf dem Weg zur Selbstheilung erachtet. Es geht davon aus, das wird unterschiedlichste Ausprägungen von uns selbst in uns drin haben. Was Sie umgehend nachvollziehen können. Sie fühlen sich selten gleich. Je nach Situation sind Sie überzeugt, tatkräftig, zögerlich, strukturiert oder ängstlich. Jedem dieser Zustände wohnt ein anderes Ihrer «ich» inne. Einige davon mögen Sie, andere haben Sie gar nicht gern. Sie alle bilden aber ein gemeinsames Team. Was passiert nun, wenn einige die Lieblinge des Trainers sind und andere nur geduldet werden? Das Team wird nie die maximale Leistungskraft erreichen. Jene dieser Persönlichkeiten von Ihnen, die Sie nicht mögen, geben Ihnen enormes Potenzial für Wachstum. Sie sind nun mal ein Teil von Ihnen. Und auch sie haben gute Fähigkeiten und wollen dabei anerkannt werden. Die Kunst persönlichen Wachstums besteht darin, alle Ihre Teammitglieder so wie sie sind, schätzen zu lernen und zu akzeptieren. Sinnvoll eingesetzt ist jedes dieser Teammitglieder eine Stütze im Team. Vor allem die wenig geliebten öffnen Ihnen auch Tore zu Ihren Wunden und Ihrer Verletzbarkeit. Fragen Sie sich, warum sie genau diese Teammitglieder Ihrer selbst weniger gern haben? Wo liegt der Ursprung dazu? Die Quintessenz dabei ist einfach: Lernen Sie alle auf ihre eigene Weise «lieben». Erst dann werden Sie wirklich fähig sein, sich selbst als Mensch in seiner Ganzheit auch zu lieben. 

Wenn es um die Betrachtung unseres Selbst geht, als Ganzheit bestehend aus diversen Einzelpersönlichkeiten, so kann eine andere Analogie ebenfalls äusserst hilfreich sein. Sie bedient sich der Struktur unseres Gehirnes und wo in diesem Gehirn welche unserer Persönlichkeiten wohnt. Die englische Psychologin Hazel Harrison hat dabei die Erkenntnisse des Buches «The whole brain child» von Dr. Dan Siegel und Tina Payne erweitert und die Funktionsweise des Gehirnes in Kindersprache übersetzt. Dieser Ansatz hilft jedem und bei weitem nicht nur Kindern, wenn es darum geht, seine Gedanken und Gefühle besser zu verstehen, die gegenseitige Beeinflussung und die vernetzten Mechanismen zu begreifen und entsprechend in schwierigen Situation besser zu handeln. Im Buch «The whole brain child» wird das Gehirn in zwei Stockwerke aufgeteilt. Das Stockwerk oben und das Stockwerk unten. Dazwischen liegt eine Verbindungstreppe und mit einer Falltüre, welche offen oder geschlossen sein kann. Harrison hat dieses Konzept erweitert um die Arbeitskräfte in beiden Stockwerken. Denn es handelt sich bei unserem Haus, unserem Gehirn, um eine Firma, welche die richtigen Entscheidungen in der Führung von uns als Person und Mensch treffen soll. In jedem der beiden Stockwerk arbeiten Personen mit einem gewissen Charakterzug. Oben sind die Denker, Problemlöser, Gefühlsregulierer sowie andere kreative, flexible und empathische Menschen tätig. Also all jene, welche die Merkmale des präfrontalen Neokortex, unseres Verstandes, aufweisen. Unten befinden sich die «Fühler». Sie sind dauernd beschäftigt uns Sicherheit zu gewährleisten und unsere Bedürfnisse zu befriedigen. Unser Überlebensinstinkt wird von ihnen gesteuert. Die Arbeitskräfte unten halten Ausschau nach Gefahren, lösen den Alarm aus und bereiten uns vor für den Kampf, die Flucht oder das Verstecken. Sie stehen stellvertretend für das limbische System, unsere Urinstinkte. Harrison empfiehlt, den Personen Namen zu geben. Oben arbeitet zum Beispiel der beruhigende Karl, der Problemlöser Peter, die kreative Sandra oder die flexible Manuela. Unten arbeiten die warnende Lara und der ängstliche Fred. Und: Unten sitzt auch der Chef des ganzen Betriebes, Chef Bernie. Am besten arbeitet das ganze Team, wenn sie miteinander arbeiten und alle Informationen untereinander austauschen. Wenn jetzt aber zum Beispiel eine Gefahr gesichtet wird, macht der untere Stock die Falltüre zu. Und übernimmt das Kommando. Das System wird in Alarmbereitschaft versetzt, die Denker haben nichts mehr zu melden. Der Chef und die Fühler haben alleinige Kontrolle. 

Die Vorstellung, dass da nun einzelne Menschen am Werk sind, und wie sie zusammenarbeiten, ermöglicht dem Kind, festzustellen, was in seinem Gehirn genau passiert. Bei einem Kind kommt dazu, dass im oberen Stockwerk noch sehr wenige Arbeitsplätze und Arbeiter tätig und aktiv sind. Erst etwa Mitte zwanzig ist das menschliche Gehirn so weit entwickelt, das oben im Verstand alle Arbeitsplätze belegt sind. Bei einem Kind haben also die Fühler, die Mitarbeiter im Gefühlszentrum noch bedeutend mehr Kontrolle als bei Erwachsenen. Kaum ein Erwachsener legt sich im Supermarkt auf den Boden, wenn er etwas nicht bekommt. Und doch kennen wir alle Situationen, in denen die Gefühle das Kommando übernehmen, die Falltüre zuklappt und wir unseren Automatismen ausgeliefert sind. 

Gerade in Veränderungsprozessen, wo wir neuen unbekannten Situationen begegnen, sind wir durch diese Automatismen herausgefordert. Wenn wir uns verändern wollen, müssen wir diese Automatismen kennen und in Momenten von Müdigkeit, Frustration, Niedergeschlagenheit, Wut oder Ärger wissen, wie wir damit umgehen. Oder eben nun bildlich gesprochen: Wir müssen die Teammitglieder und Mitarbeiter, ihre Charaktere, Prägungen, Hintergründe, Rollen und Aufgaben in unserer zweistöckigen Arbeitszentrale kennen. Mit allen Stärken und Schwächen. Wir müssen erkennen, wer wann wieviel Anteil an unserem aktuellen Verhalten halt. Und verhindern, dass die Falltüre zufällt.

Diese Betrachtungsweise bringt sogar eine «Superkraft» mit, oder wie es Todd Herman, einer der anerkanntesten US-Motivationscoaches nennt, den «alter Ego Effect». In diesem Ansatz empfiehlt Herman, dass man sich seinen eigenen persönlichen Superhelden kreiert. Sich dabei genau vorstellt, wie dieser denkt und handelt, sich in diese Persönlichkeit hineinfühlt und diesen «Supercharakter» seiner Selbst in herausfordernden Momenten, in welchen notabene Extra-Kraft notwendig ist, auf die Bühne holt. So, wie es viele Spitzensportler und Künstler tun. Wer diese Methode verfeinert, wird staunen ab dem eigenen Potenzial. Wer seine unterschiedlichen Mitarbeiter mit ihrem Facettenreichtum besser kennenlernt, wird ebenfalls neue Chancen und Kräfte in sich entdecken, weil er nun weiss, wie er das Team besser zusammenspielen lassen und mehr Leistung entwickeln kann. Und wenn diese Perspektive einmal an Fahrt gewinnt, so wächst auch unsere Akzeptanz und somit auch unsere Liebe zu uns selbst.

Die Liebe zum Aussen, zu Menschen wie auch zum Materiellen sind deshalb insofern nur Zwischenschritte in der Bewegung zu unserem finalen Ziel, der Liebe zu uns selbst. Der Mangel an Liebe und die Angst, diese Liebe nicht zu bekommen, lösen grosse Bewegungskräfte in uns aus.


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Die Beziehung mit dem grössten Paradoxon? Die Beziehung zu unserer Angst. Weil sie eigentlich - selten - eine ist.

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Das Leben ist wie Tiefseetauchen und Wellenreiten zugleich. Hoppla, heavy. Easy, las los..