Der Moment ist ein “Zeitdehner” deines Lebens

Dies ist ein Auszug aus meinem Buch “Vom erfüllenden Mangel”

Im Moment sein hat einen grossen Vorteil, den wir uns alle wünschen: Wer im Moment lebt, der dehnt seine Zeit. Wer im Moment ist, der baut umgehend und direkt an seinem Sein. Weil jeder Moment ein Baustein des Erlebten ist, generieren wir so viele Bausteine, wie Momente, die wir achtsam und intensiv erlebt haben. Sind wir oft im Moment, haben wir viele Bausteine, sind wir wenig im Moment und stets in der Vergangenheit oder Zukunft, so haben wir wenige Bausteine. Dann stehen wir am Ende einer Woche und fragen uns «Was, schon vorbei, was habe ich bloss gemacht?».

Wir sind Opfer der Routine und der Automatismen geworden und haben kaum Bausteine des Erlebens hergestellt. So ist unser Erlebnisbild klein und kaum wahrnehmbar. Dann haben wir das Gefühl, wir müssten jetzt etwas einzigartiges, intensives tun, um so wieder das Leben zu spüren. Und das hilft auch. Aber nur kurzfristig, denn wir können nicht andauernd den intensiven und noch intensiveren Kick leben. Weil dieser Kick eigentlich auch nur eine Flucht ist vor einer Leere in uns, die anders gefüllt werden kann. Mit Achtsamkeit. Achtsamkeit führt dazu, dass wir jedem Moment von Neuem die Chance geben, einzigartig zu sein. Auch den uns vertrautesten Momenten. Denn kein Moment ist gleich, jeder Moment weicht leicht ab vom anderen. Sind wir genug achtsam und üben dies für eine Weile, so werden wir reichhaltig belohnt. Weil jeder Moment seine eigene Fülle besitzt, seine eigene Feinheit, sein eigenes Flüstern.

Ist das einfach umzusetzen? Ja und nein. Es ist auch hier eine Frage der Übung. Und des stetigen Wiederholens. Wir müssen unsere Sinne wieder schärfen, denn diese sind eingeschlafen. Verstopft. Bequem. Wir müssen heute nicht mehr ums physische Überleben kämpfen. Und gefährden durch diese Abstumpfung unsere mentale Existenz. Wir verlieren den Bezug zu uns selbst. Und zur Fähigkeit zu erkunden, was zu uns passt.

Heute sind wir nicht mehr herausgefordert, physisch zu überleben und gegen diesen Mangel anzukämpfen. Dafür stehen wir vor der eigentlich noch grösseren Herausforderung, psychisch uns nicht zu verlieren. Folgendes Zitat ist dazu passende Inspiration: «Der Verstand: Wenn endlich alles passt, werde ich Ruhe finden. Die Seele: Finde Ruhe, und alles wird passen».

Joe Dispenza, anerkannter Neurowissenschafter und Autor, bringt es auf den Punkt: «Veränderung bedeutet, so zu denken, wie man sich noch nie gefühlt hat». Was bedeutet das konkret? Ein Beispiel. Schauen wir uns Ihr Morgenritual an. Wenn Sie schon am Morgen alles so machen, wie Sie es stets gemacht haben, und dies wird meist ein unreflektiertes Aufstehen und Abspulen von Automatismen sein, dann ziehen Sie, bildlich gesprochen, die ganze Zeit ausschliesslich Ihre Vergangenheit in die Zukunft. Sie ziehen Bekanntes von hinten nach vorne. Über Ihre bestehenden Automatismen. So, wie wenn Sie folgendes Spiel spielen: Sie stehen auf ein Quadrat der Grösse 50x50. Hinter Ihnen ist ein leeres Quadrat derselben Grösse. Sie bücken sich, nehmen es, stellen es vor sich hin und gehen einen Schritt nach vorne. Dann drehen Sie sich um, und ihr ursprüngliches Quadrat auf dem Sie vorher gestanden sind, ist nun leer. Sie bücken sich, nehmen es, stellen es vor sich hin und machen einen nächsten Schritt nach vorne. Sie sind also stets im Modus: Nach hinten schauen, bücken, nehmen, vorne vor ihre Füsse hinlegen, draufstehen, nach hinten schauen. Wie weit ist Ihr Blickhorizont dann? Kaum je einen Meter. Sie sind fokussiert, diesen Automatismus mit bestem Gewissen effizient umzusetzen, um so den Ablauf zu perfektionieren und so rasch wie möglich weiterzukommen. Ihr Blick bleibt aber immer auf dem Boden, ihre Haltung gekrümmt und Ihr Körper angespannt. Und Sie sind nur am Funktionieren. Wenn jemand dies von Aussen betrachtet, wird er ein ziemlich «verspanntes» Bild Ihres Vorwärtsganges erhalten. Und Sie werden jetzt selbst sagen: «Ja, aber so kommt man ja nicht weit!». Richtig! Aber genau das tun wir meistens die ganze Zeit. Unreflektiert Automatismen abrufen ohne Weitblick und Reflexion. Jeder Schritt ist ein Schritt vom Bekannten ins Bekannte. Von einem vertrauten Quadrat ins nächste.

Veränderung dagegen ist immer unvertraut. Ist es vertraut, ist es keine Veränderung. Deswegen können wir den Pfad der Veränderung nie genau vorhersagen. Wir können sehr wohl ein Ziel anstreben und den Weg planen. Aber die Begehung des Weges und der effektive Weg selbst sind ungewiss. Und durch diese Ungewissheit wachsen wir, weil wir daran lernen. Solange wir nur das Vertraute aus der Vergangenheit in die Zukunft verschieben, geschieht keine Veränderung. Es ist ja nichts anders und neu, sondern alles gleich. Veränderung bedeutet deswegen auch, sich auf sich fokussieren zu können und sich nicht vom Aussen leiten zu lassen. Also am Morgen nicht zuerst das Smartphone, die News und die Emails checken, unbewusst Duschen und unbewusst das Frühstück schnell hinunterschlingen, während man mit den Gedanken stets an einem anderen Ort ist. Denn dann ist man überall und stets im Aussen, bei den anderen, in der Vergangenheit und Zukunft, aber nicht im Moment. Und am Ende des Tages fragt man sich: «Was habe ich heute eigentlich gemacht». Dann wissen Sie zumindest eins: Sie haben keine Erlebnissteine kreiert.

Grant Achatz, bereits im jungen Alter eine der Ikonen der innovativen Spitzengastronomie in seinem Chicago’er Restaurant «Alinea» beschreibt Wachstum wie folgt: «Wir versuchen die Augen zu schliessen und in gewisser Weise alles zu vergessen, was wir gelernt haben. Unser Hauptaugenmerk liegt auf dem Plan, stets von Grund auf neu anzufangen. Theoretisch gesehen geben also alle Gerichte, die hier serviert werden ihre Abschiedsvorstellung». Das ist stetige Erneuerung, wie man sie besser nicht beschreiben könnte.

Je mehr wir im Moment leben, desto näher sind wir bei uns und mit uns, desto entspannter und gelassen werden wir auch, was die Zukunft anbelangt. Desto eher wird uns dann die Zukunft überraschen mit Neuem und uns dazu bringen, neugieriger und achtsamer zu werden. Desto intensiver wird die Wahrnehmung unseres Seins. Desto ausgedehnter wird unsere Zeit. Desto mehr neue Erlebnisse kommen in unsere Leben. Und desto mehr Leben wir.

Achtsamkeit ist ein wichtiger Baustein für unseren Dialog mit uns selbst. Achtsamkeit wirkt beruhigend und somit öffnet es die Tore zu unserem Unterbewusstsein. Es ist ein natürlicher Überlebensmechanismus, weil er darauf programmiert ist, uns aufzuzeigen, wer wir sind und was wir brauchen. Nur so konnten wir früher überleben. Und nur so können wir es auch heute. Heute sind wir eigentlich noch viel mehr herausgefordert als früher. Denn, obwohl wir eine längere Lebenserwartung haben: Wir sterben mit 40 und werden mit 80 beerdigt.


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Wachstum entsteht, wenn “es passt”