Nicht Angst als “Fear” sondern Angst als “Anxiety” steht uns heute im Weg
Dies ist ein Auszug aus meinem Buch “Du bist eine Lebensbatterie, die sich ungünstig entlädt”
Die Anspannung, welche die Natur uns für unseren «Fight or Flight»-Modus als Jäger und Sammler konzipiert hat, steht uns heute enorm im Weg. Der Fluchtmodus ist ein umgehendes Aktivieren eines Überlebensmodus bei Gefahr. Früher ging es dabei um Leben und Tod. Wir witterten Gefahr und all unser Fokus richtete sich maximal ins Aussen. Wir spannten uns an, Blut floss aus den inneren Wachstumsorganen in die Muskeln, Adrenalin schoss ins Blut, wir waren voll im Aussen. Alle Sinne nach aussen gerichtet. Das Herz schlug schneller, das Blut pumpte durch unseren Körper, unsere Muskeln spannten sich an, wir waren bereit: für Kampf oder Flucht. Das ging eine Zeit, dann war die Situation vorüber, wir entspannten langsam. Blut floss in unsere Wachstumsorgane zurück, der Körper begann mit der Regeneration, wir fokussierten unsere Sinne wieder in uns hinein, in unsere Achtsamkeit und unser Fühlen, denn dies benötigten wir wiederum, um in der Wildnis zu überleben. Um die Wetterentwicklung zu spüren, um zu spüren, ob eine Beere essbar oder giftig war. Um die Natur in Einklang mit ihr zu verstehen. Achtsam. Wir als Teil von ihr.
Diese Achtsamkeit haben wir heute verloren. Wir sind andauernd im angespannten Modus. Der blöde Chef, die mühsamen Kunden, der giftige Nachbar, die herausfordernde Partnerschaft, die anstrengenden Kinder. Und vieles mehr. Wir kommen nicht mehr zur Ruhe. Und sind stets nur noch am Denken: «Wie geht es weiter, was muss ich als Nächstes tun?» Wir bedienen unser Gehirn und unseren Verstand. Dieser ist programmiert, um Fehler und Lücken zu entdecken. Auch hier ein Überlebensprogramm von früher. Nur ist der Verstand heute überfordert. Fehler, Lücken, Gefahren, Angst und Zweifel lauern an jeder Ecke. Nicht mehr kurzfristig existenzbedrohend, dafür umso mehr schleichend existenzbedrohend. In der deutschen Sprache haben wir hier einen Nachteil zum Englischen. Dort gibt es für die Angst zwei klar unterschiedliche Begriffe «Fear» und «Anxiety».
«Fear» ist dabei die Angst, welche uns wirklich anzeigt, dass es um eine existenzbedrohende Situation geht. Es handelt sich um jene Angst, welche uns aufzeigt, dass im aktuellen Moment eine grosse Gefahr bevorsteht und wir umgehend handeln müssen. Diese Angst aktiviert unseren Flucht-, Kampf- oder Starre-Modus (fight, flight or freeze). Dies war der Modus, der uns früher das Überleben in der Wildnis sicherte. Aller Fokus war im Aussen, Stresshormone machten uns wachsam und bereit, für alles, was kommen mag. War die Situation vorbei, kehrte wieder Ruhe ein. Heute erleben wir in unserer modernen westlichen Gesellschaft kaum mehr solche Situationen. Dafür erfahren wir aber umso mehr Formen der «Anxiety», jener Angst also, welche wir mit Sorge oder Ängstlichkeit umschreiben können. Es ist nicht die Angst vor dem Moment und der grossen Gefahr aus diesem Moment heraus, sondern die Angst, welche in unserem Kopf entsteht, im Zusammenhang mit Erinnerungen aus der Vergangenheit und Projektionen in die Zukunft. Unsere Vorfahren kannten diese Form von Angst viel weniger. Sie lebten und überlebten im Moment. Das war alles was zählte.
Heute aber ist es die «Anxiety», welche uns das Leben schwer macht. Und leider körperlich die genau gleichen Stresssymptome hervorruft, wie die «Fear», also die existenzbedrohende Angst. Mit dem jedoch fundamentalen Unterschied, dass «Fear», also die grosse Angst aus dem Moment durch eine umgehende Handlung (Kampf, Flucht oder Starre) im Körper abgebaut werden kann und wir danach wieder Ruhe erfahren. Die «Anxiety» im Kopf kann das nicht, denn wir lösen dazu keine Handlung aus. Der Chef stresst weiterhin, der Arbeitskollege ist weiterhin mühsam und der Partner nörgelt immer noch. Die Rechnungen türmen sich weiterhin auf und wir haben immer noch zu wenig Zeit und stehen zu stark unter einer Vielzahl von unterschiedlichen Formen von Erwartungsdruck von aussen wie aus unserem Innern. Dabei ist uns aber die komplett unterschiedliche Herkunft dieser Form von Angst kaum bewusst. Denn der Körper reagiert einfach, ohne zu unterscheiden. Ob die Bedrohung realistisch aus dem Moment oder fiktiv aus einem Szenario aus dem Kopf entsteht, spielt dem Körper keine Rolle. Das realisieren wir lange Zeit nicht. Und verlieren vor lauter Verstand den Bezug zu uns selbst, unserem Inneren, unserer für das Leben so notwendigen Fähigkeiten, wie die Achtsamkeit, die Dankbarkeit, die Akzeptanz oder die Fähigkeit für die eigene Vergebung, die uns eine Ruhe und Entspannung gibt, die der Mensch, ebenfalls evolutionsbedingt, für ein gesundes Leben zwingend braucht. Wir haben unsere innere Mitte verloren. Und zahlen einen hohen Preis für die Entwurzelung von uns selbst.
Merke dir:
Unser Gehirn und unser Verstand sind evolutionsbedingt darauf programmiert, stets nach Gefahren Ausschau zu halten. Früher gab es weniger Gefahren und mehr Ruhezeiten. Heute sehen wir überall Gefahren, auch wenn die meisten davon keine richtigen «Existenzgefahren» sind.
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