Wenn Besinnlichkeit zur Erkenntnis des «Schmiermittels» führt …
Wie sich die Börse vom sinnvollen Diener zum beherrschenden Meister wandelte
Kurz vor Weihnachten werden wir besinnlich. Alltägliches rückt in den Hintergrund, die Frage nach dem tieferen Sinn unseres Seins tritt hervor. Wäre die Börse ein menschliches Wesen – was sie de facto auch ist, weil die Börse als Markt zwingend nur existieren kann, wenn Menschen ihren Handel an diesem Markt durchführen – würde sie sich über Weihnachten und die jährliche Sinnfrage freuen. Weil sich viele der selben nicht (mehr) bewusst sind.
Die Börse ist ein Markt. Wie ein Gemüsemarkt. Oder ein Weihnachtsmarkt. Anbieter und Suchende treffen sich. Der Markt ist das Herzstück der Tauschwirtschaft, welche uns vom Selbstversorger zur modernen Industrie der Arbeitsteilung und zu rasant steigendem Wohlstand gebracht hat. Um seinen Käse zu verkaufen, muss der Bauer nicht an des Nachbars Tür klopfen und nach Interesse fragen, sondern er stellt einen Stand zentral auf und preist sein Produkt der Öffentlichkeit an. Nicht anders an der Börse. Nur statt Käse oder Fisch wird dort Kapital zentral und öffentlich gehandelt. Somit wird sichergestellt, dass das Kapital schnellstmöglich von einem Unternehmen zum anderen transferiert werden kann. Nämlich von einem weniger produktiven an einen produktiveren Ort. So wird sichergestellt, dass das Kapital dort eingesetzt wird, wo es am schnellsten wachsen kann. Die Börse als Markt dient also einzig dafür, dass das Kapital in der Gesamtwirtschaft schnell an den besten Ort gelangen kann und so die Wirtschaft im Wachstum optimal unterstützt. Als ein getreuer Diener, als «Schmiermittel» der heutigen Volkswirtschaft.
Doch der Zauberlehrling «Börse», um in Goethes Sprache zu zitieren, rechnete nicht mit den Geistern, die er rief. Mit den hungrigen Investoren, die als Spekulanten ausser Kontrolle gerieten und den ursprünglichen Sinn des Handels von Eigentum – Aktien sind nichts anderes als das – schnell vergessen hatten. Zu Goethes Finale, wo der Meister erscheint, den Zauberlehrling erlöst und somit die Situation rettet, sind wir leider noch nicht vorgedrungen...
Siebzehnter Dezember Zweitausendzehn
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J.W. von Goethe: Der Zauberlehrling.
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