«Moral Hazard» – vom Sein und Warten auf den «Deus ex machina»
Warum garantierte Sicherheit ein Risiko ist
Sie kennen die Filmszene nur zu gut. Da stehen wir in der Perspektive irgendwo nahe einem schnellen Gewässer. Der Rebell fällt, nach einer heftigen Auseinandersetzung, in den Strudel. Der Gute reicht ihm dennoch wieder die rettende Hand. In der Not sind wir alle Freunde. Aber nicht, bevor er ihm deutlich gemacht hat, dass er, der Rebell, zur Einsicht kommen muss. Alles bestens? Ende der Geschichte? Die Miene des Rebellen ist direkt vor Ihrem inneren Auge. Und Ihnen stockt der Atem, als der Gute ihm die Hand reicht. Grossaufnahme des Blickkontaktes! Was passiert? Sie hoffen: Er steigt geläutert aus dem Wasser. Sie fragen: Kann sich jemand deswegen ändern? Sie ziehen sich – und Ihre Gedanken – zusammen: Er wird ihn doch nicht…
EZB-Präsident Draghi möchte wohl selber grosses Kino inszenieren. Er bietet den verschuldeten Staaten die Hand. Die EZB ist bereit, unbeschränkt Staatspapiere zu kaufen und durch diesen Eingriff im Sinne des «Lender of last resort», also dem Kreditgeber des letzten Auswegs, die Zinsen am Markt künstlich tiefer zu halten. Wie schon das Fed und die Bank of England. Toll! Applaus! Applaus? Sie wissen: An Konzerten zu früh, in stillen Momenten, die weder Pause noch Ende sind, zu klatschen, ist peinlich. Also warten Sie noch zu. Denn: Es ist in diesem Film keine grosse Kunst, Spannung zu erzeugen. Geldpresse an. Schulden aufkaufen. Für die Schulden haften. Wir sind in Sicherheit! Schon läuft Mario Draghi’s Kamera. Happy End? Mit Moral? Weder noch. Sondern mit «Moral Hazard!».
Die sogenannte sittliche Gefährdung ist ein ökonomischer, intuitiv einfach nachvollziehbarer Klassiker: Garantieren wir Sicherheit für alle, fördern wir bei gewissen Unverbesserlichen überdurchschnittliches Risikoverhalten.
Im griechischen Theater gab es für ausweglose Situationen immer eine angenehme Lösung: Den «Deus ex machina». Den Gott, der aus der Maschine in die Szenerie kam, und die rettende Hand reichte. Mario Draghi hat hier ein Problem: Spielt er selber den «Göttlichen», hat er die Zentralbank überschätzt. Wartet er auf den Göttlichen als seine letzte Hilfe, wird er ernüchtert feststellen: Den «Deus ex machina» gibt es im griechischen Theater, aber nicht auf der europäischen Finanzbühne. Selbst die Griechen wissen das heute.
Vierzehnter September Zweitausendundzwölf
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FAZ Blog vom 2.9.2012 auf www.faz-community.faz.net
Artikel: Eine Zentralbank ist keine Versicherung – Neues aus Jackson Hole (2)